Vorwort: Wie schaffen Städte den Umstieg in die neue Energiewelt?Â
Bundesrätin Simonetta Sommaruga lud zu Beginn des Jahrs 2021 einige fĂĽr Energiefragen zuständige Stadträtinnen und Stadträte zu sich, um mit ihnen die zukĂĽnftige kommunale Wärmeversorgung mit Blick auf das Ziel von Netto-Null im Jahre 2050 zu besprechen. Den Reigen der Präsentationen eröff-nete der Vertreter einer Ostschweizer Stadt, der klarmachte, dass sie die bestehende Gasversorgung voll und ganz auf Biogas umstellen wĂĽrde. Als zweiter meldete sich der Repräsentant einer Stadt am Genfer-see, welche bis 2050 ebenfalls völlig auf Biogas umsteigen will.Â
Biogaspotential Schweiz arg beschränktÂ
Dumm nur, dass mit dem von diesen beiden Städten angemeldeten Bedarf das einheimische Biogaspo-tential bereits konsumiert war und fĂĽr die anderen eingeladenen Städte mit der Lösung „Biogas aus schweizerischer Produktion“ nicht mehr punkten konnten. Nur am Rande sei erwähnt, dass heute ein Grossteil der Biomasse zu grĂĽnem Strom umgewandelt wird, weil sich dies dank der KEV-Einspeise-vergĂĽtung fĂĽr die beteiligten ĂĽber 150 Landwirte besser rechnet als die Produktion von Biogas. Man muss auch davon ausgehen, dass längerfristig das sehr beschränkt vorhandene Biogaspotential primär fĂĽr die versorgungskritische Verstromung während der Wintermonate sowie die Befeuerung von Hoch-temperaturöfen in der Industrie zum Einsatz kommen wird und kaum mehr fĂĽr das Heizen von Gebäu-den mit Gasfeuerungen.Â
Spätestens jetzt sollte es den fĂĽr Energie und meist auch fĂĽr Planung und Bau zuständigen Stadträtinnen und Stadträten dämmern: Das Erreichen der Netto-Null-Ziele auf der Ebene Stadt dĂĽrfte kein leichter Spaziergang werden. Eine aktuelle Wegleitung dafĂĽr findet sich im Weissbuch des SCCER «Future Energy Efficent Buildings & Districts». In diesem Schweizer Kompetenzzentrum fĂĽr Energieforschung wurde von 2013 bis Ende 2020 unter Leitung der Empa an der kommunalen Energiezukunft geforscht.Â
Mehr erneuerbare Energien im städtischen RaumÂ
Die Forscherinnen und Forscher schlagen verschiedene Möglichkeiten fĂĽr die städtische Energieversor-gung vor. Zunächst sollen fossile Quellen fĂĽr Heizung und KĂĽhlung in den Städten möglichst rasch ver-schwinden. DafĂĽr werden Dächer und Fassaden in den Städten obligatorisch mit Solarpanels ausgerĂĽs-tet. Die technische Verbindung der einzelnen Anlagen wird mit Subventionen gefördert. Diese Verbindung ist fĂĽr die Versorgungssicherheit und die Reduktion des Spitzenbedarfs zentral, weil sie ei-nen Ausgleich auf Quartierebene ermöglicht. Die Stadtverwaltungen garantieren schlanke Bewilligungs-verfahren und erstellen Masterpläne fĂĽr die Nutzung der Quartier-Energie.Â
Pooling und Sharing – die neuen Modeworte auch im EnergiebereichÂ
Weil nicht alle Gebäude dieselben Potentiale fĂĽr die Energieproduktion haben, erhalten Pooling- und Sharingkonzepte fĂĽr Strom, Gas und Wärme eine hohe Bedeutung. Die Quartier-Energie-Pläne tragen dem Rechnung und halten die räumliche Verteilung von Produktion, Verbrauch und Speicher fix fest. Anreizsysteme helfen mit, den Eigenverbrauch auf Quartierebene zu maximieren und den «Energie-Im-port» von ausserhalb des Quartiers zu minimieren.Â
Flexibilität – das neue ZauberwortÂ
Die Versorgungssicherheit der dezentralen, quartierorientierten Energiewelt wird mit Daten und Algo-rithmen digital unterstĂĽtzt. So kann auch die Flexibilität viel besser genutzt werden: Microgrids, De-mand-side Management (Nachfragesteuerung) und dezentrale Speicherung ermöglichen den Ausgleich auf den untersten Netzebenen. Dazu braucht es klare kommunale Rechtssysteme, Anreizelemente fĂĽr Verbrauch und Speicherung und klare Regeln fĂĽr den Zugang zu den ĂĽbergeordneten Netzebenen.Â
Erneuerbare Kapazität bereitstellen als zukĂĽnftiges GeschäftsmodellÂ
Heute orientieren sich die Geschäftsmodelle und Regulierungen im Energiesektor an der Menge gelie-ferter Energie in einem Jahr. Das zukĂĽnftige Netto-Null Energiesystem erlaubt aber nur noch den Bezug von erneuerbarer Energie. Das fĂĽhrt zu einem grundlegenden Wandel der gesamten Regulierung, weil Horw, 8. April 2021 Seite 6 / 59Â
die Grenzkosten der meisten Anlagen, welche erneuerbare Energie ins Energiesystem einspeisen, bei nahe null liegen. Es ist also egal, ob eine Windkraft- oder Solaranlage gerade Strom Elektrizität produ-ziert oder nicht: Es kostet fast genau gleich viel. Trotzdem muss das erneuerbare Energiesystem zu je-dem Zeitpunkt genĂĽgend Energie bereitstellen, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Und mit «zu jedem Zeitpunkt» ist auch der Zeitpunkt des «Peaks» gemeint, also des höchsten Strombedarfs. Das ist beispielsweise ein eiskalter, windstiller Winterabend. Auch dann muss die Versorgungssicherheit ga-rantiert sein. Die hat dann allerdings einen hohen Preis.Â
Doch an anderen Tagen und Stunden steht erneuerbare Energie im Ăśberfluss, also beinahe gratis, zur VerfĂĽgung. Die Geschäftsmodelle der Energieversorger*innen, aber auch die Vorgaben fĂĽr Verbrau-cher*innen und Immobilen-Investor*innen mĂĽssen dies kĂĽnftig berĂĽcksichtigen. Konkret: Die Regula-rien mĂĽssen umgeschrieben werden, vom Strommarktdesign ĂĽber die Speichervorgaben bis hin zu den Bau- und Planungsvorschriften: Die Kapazität, auch Leistung genannt, wird zu einer wesentlichen SchlĂĽsselgrösse im Energiesektor. Die rasche Anpassung von Tarifen, Produkten und Vorschriften an die Eigenschaften erneuerbarer Energiesysteme wird die energetische Transformation beschleunigen.Â
Cooling – eine neue Dimension in Zeiten des KlimawandelsÂ
Die Forscherinnen und Forscher des SCCER halten fest, dass in den vergangenen 40 Jahren sehr viel zur Reduktion des Wärmebedarfs im Gebäude getan wurde. Nun sei es an der Zeit, sich vermehrt mit der KĂĽhlung von Gebäuden und Quartieren auseinandersetzen. Während den kĂĽnftig immer zahlreicheren und heisseren Sommertagen werden wir uns kĂĽhle Wohnungen und keine Hitze-Inseln im Quartier wĂĽn-schen. Dazu braucht es GrĂĽnflächen und kleinere Parks und auch eine durchdachte Anordnung der Ge-bäude im Quartier, damit der Wind die aufgeheizte Luft wegtragen und am Abend die ersehnte Nacht-kĂĽhle bringen kann.Â
Wasserstoff und synthetische Gase als wesentliche PufferÂ
Ăśber drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt bereits in einer städtischen Umgebung. Die Städte sollten deshalb gemeinsam eine massgeschneiderte Klima- und Energiepolitik entwickeln. Diese sollte nicht auf Biogas-Illusionen basieren, sondern umfassend alle Herausforderungen von Quartier-Energie-planung, ĂĽber Effizienz, Sharing, Flexibilität bis hin zur Städteplanung angehen. Das SCCER FEEBD macht dazu kluge Vorschläge.Â
Vielleicht wird sich bei den Stadträtinnen und Stadträten beim Lesen dieser Empfehlungen auch die Power-to-X-Frage stellen. Damit könnte der im Sommer grossflächig produzierte ĂĽberschĂĽssige Strom aus erneuerbaren Energien als Wasserstoff oder in anderer flĂĽssiger und gasförmiger Form fĂĽr den Win-ter gespeichert werden. So könnten die Städte als Besitzer eines Grossteils unseres Gasnetzes miteinan-der diskutieren, ob durch diese Röhren in 20 Jahren nicht mehr Erdgas, sondern grĂĽner Wasserstoff fliessen könnte. Dieser teils im Inland und teils in SĂĽdspanien oder Marokko produzierte grĂĽne Wasser-stoff könnte ein Teil der der kommunalen Energiezukunft sein.Â
Mehr zu den Ergebnissen dieses Forschungsprogramms findet sich hier: https://www.sccer-feebd.ch/white-paper-sccer-feebd/
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Dr. Walter SteinmannÂ
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